40 | Kreuzung

An der Kreuzung vor der Ampel
brummt eine wartende Chaise.
Passanten palavern und lachen
laut unter’m Fenster.
Das Signal springt von rot nach grün um,
die Karre fährt an.

Der Monitor leuchtet im Dunkeln.
Das nächste Auto rollt rauschend heran.
Ein Tag verflog gemütlich
vor der Öffentlichkeit verborgen.
Die geschäftigen Zeiten
ziehen allzu bald schon herauf.

Ich genieße die leeren Stunden nicht.
Sie erinnern mich
an meine Pflichten
als Autorin und Chronistin.
Ich sollte an Dialogen schreiben,
über sprechen und schweigen.

Niemand erwartet das von mir
– nur ich.

39 | An einem stillen Sonntag

An einem stillen Sonntag im März 2024
sitzen wir in einer verstaubten Stube
und lesen die – in rotes Leinen
eingeschlagenen – gesammelten Werke
eines Meisters des vergangenen Jahrhunderts.

Die Gedichte lesen sich wie Prophezeihungen
für eine dunkle Zeit, die sich wieder macht bereit.
Doch wo sind heute die klugen Arbeiter,
die keine Sklaven unter sich wollen?
Es gibt sie, doch sie werden erneut angefeindet.

Müde treten sie morgens ihre Schichten an.
Man hetzt sie aufeinander und nur, wer nicht muckt,
kann auf längere Sicht auf einen Arbeitsplatz hoffen.
Ihnen sind die Solidaritätslieder nicht mehr bekannt,
so wenig wie der notwendige Klassenkampf.

Und zeigen sie doch mal ihre Kraft,
entreißt man ihnen die Verhandlungsführerschaft.
Man verlangt, dass sie reibungslos funktionieren
und sich über ihre Lage nicht beschweren.
Was genügen soll, das ihnen an Lohn und Zeit zum Leben verbleibt,
wird von Wohllebenden mit aller Eiseskälte beurteilt.

38 | Lösung

Möchte lösen das Band,
das an die Dunkelheit band.
Möchte heraustreten aus dem
“Was-sollte-gewesen-sein.”

Möchte ziehen mit dem Schein
der Gütigen, die zur Tür traten ein.
Möchte danken dem Wind,
der zärtlich die Trauer mit sich nimmt.

Möchte das Feuer bitten,
die Bitterkeit auszulöschen.
Will mit Märzblüten tilgen,
was das Herz soll verwinden.

37 | Schäume und Meere

Blattlose, dunkle Zweige an Büschen
voll weißschäumender Knospen und Blüten.
Den Kopf in die Höhe gereckt.

Zuhaus – mir zur Freude –
das Blühen des Hibiskus
in rosé entdeckt.

Was macht’s,
daß die Erinnerung
seltsam verblaßt?

Eines Tages werden
Okinawas Kirschblüten
in unsere Haare wehen

Und wir wieder leuchtenden
Amber vom Tang
am Saum des Meeres auflesen.

35 | Frühjahr

Die Schatten auf den Wänden mischen sich
abwechselnd mit fahlem oder strahlendem Licht.
Das Frühjahr schleicht heran.

Vor der Zimmertür rumpelt’s, raschelt’s,
rappelt’s und quietscht’s  –
noch eine Seele, die sich hier versteckt.

Hinaus müssen wir früh genug
zu jenen anderen, die kampfbereit sind
und die Stilles verdriesst.
Mimosenbaum

Heute mal auspacken –

Metabolie” in Vorbereitung unserer Lesung “poetische Anmerkungen” am 26.03.24 in der Schwartzschen Villa. Übrigens startete die Veröffentlichung am 21.02.2024 mit der 2. und überarbeiteten Auflage, denn es hatten sich Fehler eingemogelt. Wer eine Rezension verfassen möchte, kann mich damit sehr unterstützen. Wie man zu einem kostenfreien Rezensionsexemplar kommt, ist unter https://www.bod.de/leistungen/rezensionsexemplare verlinkt. Vielen Dank im Voraus. Habt auch einen feinen Tag.

33 | Wiegt ein Leid anderes auf? (wehrhaft)

So wird nicht gewogen
und die, die das Leid erschaffen,
denen ist es einerseits gleichgültig,
andererseits kommt es ihnen gelegen.

Sie entfachen
einen Sturm der Entrüstung
gerichtet gegen die Opfer,
die jene entwaffnen wollen.
Moralisch wohlfeil.

Es empören sich die,
die ein Gewissen
nicht brauchen,
weil sie ein Dilemma nicht kennen.