135 | Tableau

Da ist noch einmal – ein ungemaltes Tableau,
eine leere Leinwand. Was entwerfe ich dafür?
Wage ich das radikal Neue oder mische ich
Farben und Komposition aus Erinnerungen?

Nein, ich werde mich überraschen
und mich mit frischen Motiven befassen.
Vielleicht wird es gelingen
und ich das Unbekannte erblicken.

Ich verwende neue Farben
und leuchte aus,
was im vergangenen Dämmerlicht
getrübt berührte die müde Netzhaut.

122 | Warum ist es Plackerei bis das Brot auf dem Tisch steht?

Warum müssen wir rennen und uns mühen,
um das Brot auf den Tisch zu bringen?
Weshalb bleibt an den freien Tagen nur ruhen,
damit wir an den anderen wieder einsatzbereit sind?

Warum lassen wir uns gefallen,
dass andere von der Mühsal profitieren
und wir haben schmerzende Knie?
Warum reichen die schmalen Löhne für unsereins nie?

94 | Verbundenheit

Mir scheint, obwohl ein jeder seine Wege geht,
verbindet uns mehr, als dass uns trennt.
Der gleiche bleiche Mond leuchtet des Nachts
auf uns herab.

Wir durchwandern denselben Staub der Welt.
Es schimmern die gleichen Sterne für uns am Himmelszelt.
Auch die Sonne gleisst auf selbe Art
vom Firmament auf uns herab.

Auch wenn wir einander nicht lächeln sehen –
die gleichen Bäume säumen die Alleen.
Trotzdem wir nicht mehr miteinander gehen,
sehen wir die gleichen Vogelschwärme herbstwärts ziehen.

D’rum wünsche ich auch Dir –
ein schönes Leben,
viel Glück und Segen,
damit wir uns – vielleicht irgendwann – in Frieden begegnen.

80 | Fakten

Der Tagebau gräbt Brandenburg das Wasser ab.
Die neue Autofabrik des Elon Musk
gab grosse Mengen flüssiger Chemikalien ab.
In der Oder sterben Fische – massenhaft.

Teile des Grunewalds standen in Brand.
In diesem Sommer vertrocknet das Land.
Nur noch dreissig Prozent der eisfreien Flächen
des Planeten sind mit Wald bedeckt.

Vor Hunger und Krieg sind wieder Menschen verreckt.
Die Politprominenz feiert auf Sylt.
Wir haben unsere Klimaziele verfehlt.
Durch Armut wird die Demokratie unterhöhlt.

Es sind solche Fakten,
die mich verstör’n.
Viel lieber würde ich
den lieblichen Gesang der Vögel hör’n.

75 | #harsch und #unerbittlich

Schwäche fasst Dich an.
Du schwadronierst dann
von seelischer Ursache
für eine Entzündung im Gelenk.

Dass ein Mensch nicht unzerbrechlich ist,
läßt Du nicht an Dich heran.
Harsch und unerbittlich
weist Du andere Gründe zurück.

Taub und stumpf reagierst Du
als leistungsgedrillter Mann,
wenn ein Mensch ewas nicht kann.
Nur “funktionieren” läßt Du gelten.

58 | Ticket ans Meer

Sagt der Ede zu dem Paule:
“Komm wir machen eine Sause.
Fahr’n nach Sylt und trinken
in den Dünen Brause.”

Doch Brigitte ist entsetzt,
dass der Pöbel sich
nach Kampen absetzt.
Sie sonnt sich gerne exklusiv
und schlürft lieber ungestört
ihren Aperitif.

Ede und Paule sehen
sich staunend um
– so was kommt
bei ihrem Netto nicht rum.

Quetschen sie sich gleich wieder
heimwärts in den vollen Holzklasse-Zug
oder tut die frische Salzluft
und ein paar Tage Meer ganz gut?

Brigitte wird und bleibt
diesen Sommer blass.
Die anderen haben
auch mal Badespaß.

47 | Zustandsbeschreibung

Reibe die Salzkruste aus den Augenwinkeln.
Warte auf Inspiration am trüben Horizont.
Kratze am Schorf auf nervöser Haut.
Seufze laut.

Lecke versonnen die Oberlippe.
Strecke mich unter der wollenen Decke aus.
Des Ofens volle Aschelade staubt.
Schwere Atemzüge sind geronnen.

Und vor den stumpfen Fenstern
spriesst das grüne Lindenlaub.
Lieber als einer ungewissen Zukunft zu zueilen,
ruhe ich mich vom Nichtstun aus.

17 | Die Jahre

Es kommen und gehen die Jahre
und vor dem Fenster fallen
die Tropfen pochend
auf’s Blech auf dem Sims.

Mir ist als ob alle Jahre
stets die gleichen sind.
Es grünen die Linden
vorm Haus in lauen Frühlingswinden.

Der Sommer blüht in Rosen und Jasmin.
Die Nebel stehn zwischen
den kahlen Bäumen im Herbst
und schon ist wieder finsterer Winter.

So laufen die Jahre immer gleich
auf’s Neue ab.
Kein Kummer hält sie davon ab.
Kein Schmerz hält sie zurück.

Sie halten an der Abfolge fest –
ganz unverrückt.
Die Jahre kommen und gehen dahin,
im Werden, Aufblühen und Vergehen
liegt ihr dumpfer Sinn.

Sie kennen darin kein Pardon
und erscheinen pünktlich wieder
in der nächsten Saison.

06 | Ein Hund bellt mich an.

Auf einem Streifzug durch
die Winterlandschaft
gerate ich zu nah an
einen Maschendrahtzaun.
Aus dem Schatten der Hecke
springt ein Hund
und bellt laut und rau.

Ich zucke zusammen.
Waren meine Absichten rein?
Welche Schätze mögen wohl
hinter dem Zaun verborgen sein?
Lohnte ein Blick hinter die Kulissen?

Ein kleines düsteres Haus
lugt zwischen den Koniferen heraus.
Vor der Haustür steht ein Mann
und sieht mich mit finsterer Miene an.

Was ich wohl in der Landschaft
vor seinem Hause triebe?
Wieso singe ich Lieder
von Wonne und Liebe
und gehe hinaus,
spaziere nicht nur,
sondern lustwandel?

Der Hund – eingepfercht
– hört das Bellen nicht auf.
Sein Herr führt kein
gastfreundliches Haus.

Ich geh’ meines Wegs
in die Felder hinaus
und lasse Zaun, Hund
und Mann
– Zaun, Hund und Mann sein.
Langsam werden sie klein
und – wie zuvor – schliesst mich
die friedliche Stille wieder ein.