Zwar fordert die Arbeit alles ab, doch bin ich froh, jeden Tag auszuziehen und das Häusermeer zu durchstreifen. Der Glanz des Frühlingslichtes streut milde Beleuchtung auf die Wohnstätten der Kreuzbergerinnen und morgens in der Halle scherzen und streiten die Kolleginnen. Die Technik ist tückisch und selten fährt ein Fahrrad geräuschlos. Doch wenn man in einem Aufgang die Post zugestellt hat, ist man auch mal zufrieden. Und wenn man abends seine leere Flasche vom alkoholfreien Bier zu den zwanzig anderen auf das Parkett stellt, die dort schon aufgereiht sind, muß man sich vor niemandem rechtfertigen. Willkommen ist, was das Herz von seinen Leerstellen ablenkt. Bloß nicht mehr in eine Vergangenheit sehen, die es so nie gab, wie sie sich verklärend im Rückblick darstellt. Und hat man nicht wetterfeste Freunde gefunden? Ja, vieles ist doch errungen, wovon man nur träumte und ein Gewitter hält einen nicht mehr ab, in die Welt zu gehen.
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Brüche
Wir fuhren im Schneetreiben von Berlin zu Dir auf der Tourneé hinauf nach Jütland am 20.03.1994. Mein Bauch wölbte sich vom siebten Monat Schwangerschaft. Wir übernachteten in Aarhus und brachen am nächste Morgen mit unseren Trauzeugen nach Tranebjerg auf Samsø auf. Damals ahnte ich noch nicht, dass unsere Ehe bereits mit einem Bruch begonnen hatte, denn Du hattest am Abend bevor wir kamen versucht, die Trauzeugin zu verführen. Dies gestandst Du mir eine Woche vor der Niederkunft. Da konnte ich nicht mehr zurück, glaubte ich. So begann unsere Ehe mit einem Betrug.
Wahrscheinlich
Ich kenne Dich nicht mehr. Du bist wahrscheinlich ein ganz anderer geworden – sanftmütig und duldsam. Längst mußt Du Dich nicht mehr durchsetzen und bist voller Harmonie. Du führst ein gesundes, friedvolles Leben an der Seite Deiner einzig geliebten Frau. Glück regnet auf Dich herab und Du bist angekommen, hast ein eigenes Domizil bezogen und genießt die Ruhe der Vorstadt. Die Orte, die wir aufsuchten, hast Du hinter Dir gelassen. Majestätisch und frei gehst Du Deiner Wege. Dich kenne ich nicht.
Wenn die Lindenblüten wieder duften
Im Sommer 2024 wollen wir mit einem Kahn und Gästen die Spree hinauf ziehen, wenn die Lindenblüten duften. Wer weiß was bis dahin geschieht, aber so ist jetzt der Plan. Seit diesem Jahr trage ich wieder einen Goldring am Ringfinger der rechten Hand. Er gilt niemandem bestimmten. Vielleicht denke ich dran, weil heute mein Hochzeitstag war – da auf Samsø bei frostigen Temperaturen und Sonnenschein. Doch meine Frühlingsanfänge gelten auch niemandem bestimmten mehr. Im Park ist der Brunnen noch nicht repariert und es wird wohl ein weiterer Sommer ohne Wasserfall sein. Er wird schmerzlich vermißt. Der Gesang der Nachtigall mischte sich immer auf’s Schönste mit seinem Rauschen. Die Eisdiele will nach der Winterpause bald wieder öffnen. Die Monde ziehen ins Land und ich altere ohne die Perspektive, einen Ort auf dieser Welt gefunden zu haben an den ich gehöre. Zwischen den Berliner Mietskasernen ist immerhin alles vertraut. Gestern habe ich auf dem Weg nach Sacrow wieder einen hellgrünen Teppich auf dem Waldboden aus Wunderlauch gesehen. Ich fuhr über den Wannsee nach Kladow auf dem offenen Verdeck der alten Fähre – der Condor, auch wenn ich Handschuhe trug und die Kapuze des Daunenmantels auf dem Kopf festhielt. Jetzt müßte ich aufräumen, aber ich hänge lieber meinen Träumen nach.
Täglich
Täglich kämpfe ich mich durch Kreuzbergs Häusermeer und trage die Sendungen zu den Briefkästen der Stadtbewohner. Wenn ich Päckchen bringe, ist die Freude der Empfängerinnen meist groß. In den letzten Tagen sind die Krokusse aufgeblüht und die blauen Sternhyazinthen. Heim komme ich meist erst, wenn die Sonne versinkt. Oft nehme ich die 47, das ist ein Rad, das niemand sonst will. Wenn es geregnet hat, quilt aus dem Sattel die Nässe und er läßt sich nicht mehr fixieren. Aber mit seinem Elektromotor macht es ganz gut Tempo. Ich versuche der Melancholie davon zu fahren, aber es gelingt mir nicht immer. Ich bin trotzdem froh, am Abend zu müde zum Nachdenken zu sein. Ich sinke in meine Kissen und vergesse die Verluste. Die Kriege und Naturkatastrophen laße ich nicht an mich herankommen. Meinen Durst löche ich mit dem Geschmack von alkoholfreiem Bier. An meinen freien Tagen treffe ich mich mit meiner Tochter oder Gottt, meinem Bruder oder Freundinnen oder ich ruhe einfach aus. Aber meine Sehnsucht holt mich immer wieder ein und ich denke an Hendryks Liebreiz und die verzauberte Zeit. Wie er fröhlich auf Spitzen tanzte und alle auf dem Flur umgarnte. Plötzlich umwölkte sich seine Stirn und er schlief Tag und Nacht. Jenes Frühjahr war im Flug vergangen und als der Sommer gekommen war, war Hendryk wieder verschwunden und ich mußte ohne meine Schwingen weiterziehen.
Noch Winter
Ich liege in meine warme Decke aus Yak-Wolle gehüllt und versuche zu klären, was die Konsequenzen aus den frischen Einordnungen über mein vergangenes Lebens sind. Wie war es möglich gewesen, dass ich die Gewalt übersehen hatte, die meine Beziehung durchzogen hatte? Zum einen war sie wohl schleichend und leise in mein Leben getreten, zum anderen hatte ich auch Unberechenbarkeit und Gewaltätigkeit in meinem Elternhaus erlebt. Gewalt war also für mich eine Kategorie gewesen, die immer möglich in intimen Beziehungen war. Sie brach über einen herein, ebbte wieder ab und man tat, als sei nichts geschehen. Zum anderen war die Erfahrung psychisch so schmerzhaft gewesen, dass ich dissoziierte und mich im direkten Nachgang nicht mehr genau an die Geschehnisse erinnern konnte. Ja, ich machte mich verantwortlich für das, was passiert war. Jetzt, gekräftigt von der Selbstständigkeit, kann ich mich wieder an die Vorgänge und ihre Chronologie erinnern. Erstaunlich ist auch, mit welcher Abwehr die Umwelt reagiert. Die Reaktionen sind – vorsichtig gesagt – sehr zurückhaltend. Aber das spielt keine so grosse Rolle, wichtig ist, dass mir die Zusammenhänge klar werden. Ich werde besser gewappnet in eine glücklichere Gegenwart und Zukunft gehen. Kompromisse habe ich nicht mehr nötig. Bei mir schrillen alle Alarmglocken, wenn ein Mann indiskret wird. Welche Absichten hat er? Was will er? Und ich? Bin frei, wie nie zuvor. Ich entscheide über alles, was mein Leben betrifft, ganz für mich allein. Ich habe Freunde gefunden auf die ich mich verlassen kann. Ich bin der Gewalt entronnen und so gesund, wie seit Jahrzehnten nicht.
Macht Eure Kinder stark
Frauen, wenn Ihr merkt, dass ihr Angst habt aufzumucken in einer Beziehung, nehmt das ernst. Wenn ihr “grundlos” traurig seid, ihr nicht über Eure Bedürfnisse sprechen könnt, wenn ihr auf leisen Sohlen geht, um “ihn” nicht zu reizen, sind das starke Warnsignale, dass etwas in Eurem Umfeld nicht stimmt. Aus dem Nichts eskalierte beispielsweise ein Abend: Wir saßen zusammen mit dem grossen Kind im Wohnzimmer. Er liess einen Laserpointer über den Boden rennen, um mit der Katze zu spielen. Plötzlich richtete er den Laserpointer auf meine Augen und unterliess das auch nicht, als ich protestierte. Das Kind wurde Zeugin dieses Angriffs. Ich hätte ihn anzeigen sollen und aus der Wohnung entfernen. Ich war jedoch lediglich sehr aufgebracht und entrüstet und verdrängte das Geschehene bald darauf. Mein Kind wurde noch öfter Zeuge von gewaltsamen Verhalten mir gegenüber. Dies hat seine seelische Entwicklung gestört. Schliesslich lernte es, dass es sich auf mich und seinen Vater nicht verlassen kann und konfrontierte ihn möglichst nicht mit Unangenehmen.
Seitdem ich mir selbst meine Wünsche erfülle.
Seitdem ich mir selbst meine Wünsche erfülle und meine Gedanken nicht mehr zur Überprüfung vorlege, bin ich gesünder, besser gekleidet und selbstbewußter als je zuvor. In welche Falle war ich getappt, als ich dachte, ich müßte Harmonie durch Wohlverhalten erkaufen? Es hat jetzt fast zehn Jahre der Bewältigung gebraucht, bis ich mir eingestehen mußte, dass mein Selbstmordversuch im Alter von 34 im Zusammenhang mit dem Trauma einer analen Vergewaltigung stand gegen die ich nur still Widerstand leistete, weil meine Tochter im selben Raum anwesend war und schlief. Ich deprivierte in der Folge und fühlte mich dafür schuldig. Für das, was folgte, hatte ich mich beschuldigt. Ich war verrückt und konnte meiner Tochter kein stabiles Zuhause ermöglichen. Ich bin all den Menschen, die über ihre seelischen Verletzungen und Erfahrungen der Gewalt in ihren intimsten Beziehungen begonnen haben zu sprechen, unglaublich dankbar gegenüber, denn sie haben mir geholfen, mein Trauma zu erkennen und anzunehmen und zu überwinden. Diese Gewalterfahrung wurde heruntergespielt und reihte sich in eine Kette von Nadelstichen, die mein Selbsvertrauen komplett erschütterten. Es war aber sicher der Höhepunkt. Warum nur hatte ich jahrelang keinen Zusammenhang zwischen den konkreten Erfahrungen und den seelischen Erschütterungen gesehen, denen ich ausgesetzt war? Wie ein schleichendes Gift hatte die Mißachtung meiner Person und die brüchige heile Welt unserer Familenwelt, in der ich letztlich nichts zu gebieten hatte, mein Selbstvertrauen komplett untergraben.
Verheerungen
So subtil, wie nachhaltig war die Kette von Grausamkeiten und Manipulationen, dass es einer langen Aufarbeitungszeit bedurfte. Heute würde ich jeder Frau sagen, behandelt Dich Dein Mann verletzend, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er es wieder tun wird, sehr hoch und wenn Du ihn nicht zu Beginn verlassen hast, seid Ihr vielleicht so verstrickt, dass der Schritt von ihm weg, um so grössere Schwierigkeiten bereitet. Es gibt Arten von Beziehungen, die mit seelischer Grausamkeit einhergehen und Dich Dein Selbstbewußtsein und Deine seelische Gesundheit kosten. Nimm’ das nicht inkauf. Wenn etwas in Schieflage ist, vertraue Deinem inneren Kompaß, schütze Dich. Jemand, der Dich auflaufen läßt, wenn Du etwas klären willst, behandelt Dich schlecht. Jemand, der beim Sex Grenzen mißachtet, will Dir nicht wohl. Jemand, der grausam ist, liebt nicht. Er will dominieren und kontrollieren.
Vertrautheit
Du besuchtest mich an meinem freien Sonntag zum Frühstück. Die Brötchen brachtest Du mit. Wir haben geredet und ins Feuer geguckt. Die Stunden vergingen bei unserer Plauderei geruhsam und friedlich. Wir sprachen von unseren Reiseplänen. Du wärmtest Deinen schmerzenden Rücken vor dem Kamin. Einige Zeit schwiegen wir miteinander, jede mit ihrem beschäftigt. Als Du nach Hause aufbrachst, war es längst schon wieder dunkel an diesem Wintertag. Schön, wenn man alle Zeit der Welt hat und die Vertrautheit einen glücklich umfängt.