09 | Ausverkauf

Ab Juli wird der Sommer ausverkauft.
Das ist eben so.
Da kannste nix machen.
Das ist Kapitalismus.

Dann bringen die Boten
die Waren für die nächste Saison
die Treppe hinauf.
Das ist eben so.

Und wenn man den Boten
um den Profit bescheißt,
dann ist das halt so.
Da kann man nix machen.
Der hätt’ in der Schule
lieber besser aufgepaßt.

129 | Frost

Morgens liegt eine dünne Eiskruste auf den Pfützen
und über dem Hügel dämmert das Morgengrau am Himmel.
Zur Arbeit sind es vier Blocks weiter.
Der kalte Fahrtwind treibt Tränen über die Wangen.

Die Halle ist hell und warm.
Alle grüssen sich,
freundlich werden ein paar Worte gewechselt,
gescherzt und geneckt.

Dann geht’s hinaus in den Wintertag
auf einem schweren, kippeligen Rad.
Eilig voran, treppab, treppauf.
Auf dem Weg – ein rotwangiges Kind, das freudig staunt.

125 | Dunkler Spiegel

Dunkel wirft ein Pfützenspiegel
mein Bild zurück.
Ein weiteres Jahr zog
an mir vorüber.

Ich tauschte Umsicht und Lebenszeit
gegen Brot.
Kein Tau, kein Anker hält mich fest.
Von hier aus treibe ich weiter.

Der Alte, der mich haßt.
Der Mann, der sich
an die Vorstellungen
der Alten anpaßt.

Doch Freunde spenden Trost.
So glücklich haben wir am Strand verweilt
und bedeutungsvolle Bilder geteilt.
So hat mich reichlich Glück ereilt.

123 | Splitter

Dein Porzellan zerschlagen,
bitter das errungene Brot,
Dein Bündel dürftig,
Dein Haupt auf Stein gebettet.
Die Welt mitleidlos und roh.

Die Glücklicheren kleben Oblaten
in Poesiealben und tragen
volle Taschen in ihr Heim.
Ihre Finger behandschuht
und Ihre Mäntel warm.

Du aber ziehst einsam
in den Winter voran.
Man schweigt und
sieht an Dir vorbei,
denn der Herren Knechte
sind ihnen einerlei.

115 | November

Die Krähe aus der Nachbarschaft
läßt an der Kreuzung Walnüsse
vom Baum in der Strasse
durch drüberollende Autos knacken.

Der Wind blättert die Seiten
des dicken Buches auf dem Dach
der Bushaltestelle um.
Ein feiner Niesel wellt das Haar.

Das grosse Kind strahlt am Treffpunkt.
Wir setzen uns ganz dicht ans Fenster
und spähen in den grauen Tag.
In der Parkbucht hat ein Minilaster
mit einer Notunterkunft
für Menschen ohne Obdach
auf seiner Ladefläche geparkt.

Es ist der Monat des Gedenkens
nicht nur an Heinrich Heine.
Frivol erscheint einem
das kommende Fest des Schenkens
und der Champagner schal.

Nur die Kleinen mit ihren Leuchten
in den Händen und an den Schuhen
erhellen die trübe Dämmerung
in den Strassen nachmittags um vier.
Im Netz wird in Tweets beraten,
ob andere bald das Jahr mit Getöse
verabschieden dürfen.

Die meisten plädieren
für einen Abschied in Grabesruh.

109 | Lebe mehr in der Gegenwart, sagt Gottt

Lebe mehr in der Gegenwart, sagt Gottt
und er hat recht. Doch wie gelingt mir das?
Sicher – das Schichten hilft – dabei kann
ich die Vergangenheit ganz vergessen.

Es gibt nur das Glas, das zu putzen ist
und mich. Es gibt nur die Melonen,
die zu teilen sind und mich.
Es gibt nur die Regale und die Ware
im Kühlhaus, die zu verräumen ist
und mich.

An diesen Tagen bin ich abends platt.
In meiner Freizeit aber bin ich traurig und matt.
Dann sind nur die Treffen mit Gottt
Medizin für mich.

Doch nachts in meinen Träumen
holt mich das Gestern ein.
Wie lasse ich nur
Vergangenes vergangen sein?

95 | Dort, wo die Flügel sich befanden

Dort, wo sich die Flügel an den Schulterblättern befanden,
schmerzt es.
Die Sonne steht schon flach über dem Horizont
und des Schattens Kälte lauert.
Gottt scherzt
ungehört.
Die altbekannte Melodie der Melancholie kriecht
durch das honiggoldene Herbstlicht.
Die einstigen Triumphe sind verblaßt
und wärmen nicht.
Das Haar ist fahl
und die Träume ebenfalls ergraut.
Am Morgen steh’ ich vor der Sonne auf.

93 | Eines Tages

Ich denke, eines Tages wirst Du mir verraten,
was Dich so gekränkt hat,
dass wir nach dreiunddreissig Jahren
kein Wort mehr miteinander sprachen.

Was es war, das ich Dir tat,
das Dich so bitterlich enttäuscht hat.
Du mußtest gehen.
Ich liess Dich ziehen.

Von da an hast Du
in einer Fremden Arm gelegen.
Was es wohl war?
Ach, auch wenn ich’s nicht erfahr’,
wird es mir irgendwann egal.