08 | Ganz da

Ganz da, ganz hier, wach,
voller Kraft.
Mich berührt nicht mehr
die Ungestalt des absurden Alltags.

Ich verschwende keine Energie für
sinnlose Kämpfe
und stelle mich der Wirklichkeit.
Das Unrecht drückt mich nicht mehr nieder.
Ich nehme es zur Kenntnis
und schüttel es ab.

Wer mit uns Schritt halten will,
muß sich beeilen.
Wer sich an uns bereichern will,
dem weisen wir den Pfad.

Rafft nur.
Ihr könnt doch nichts behalten.
Am Ende werdet Ihr gefällt.
Wir aber haben den Geschmack
klaren Wassers auf unserer Zunge
und helfen dem Niedergemähten auf.

139 | Jugendlich

Frisch liegt das Jahr da.
Voll jugendlichem Elan.
Ein Zauber aus spriessenden Knospen.
Die langen Tage fangen an.

Die Kraft des Sonnenlichtes
treibt den Vogelgesang an.
Ein Schwelgen im Blütenrausch
der Bäume und Sträucher
und vergessen ist die winterliche Plag’.
Sorgen, Trübsal und Nöte werden auf den
nächsten Spätherbst vertagt.

138 | Widersprüche

Verheissungen liegen in der Luft,
doch niemand löst sie ein.
Einige schweben im Glanz,
doch andere schlafen auf Stein.

Am Morgen geht’s früh hinaus,
doch von den Aufgaben
ist bis abends nicht alles geschafft.
Tags ist man munter,
doch enttäuscht von der Kürze der Nacht.

Mit Kraft will man leben,
doch nur bis zur Maloche ist man gelangt.
So gerne teilte man Freude,
aber leider bleibt man unumarmt.

134 | Wahl

SR – Ausgehen in Kreuzberg
Wählte einst einen Feiertag zum Hochzeitstag.
Das hat jedoch kein Glück gebracht.
Wie oft im Leben zieht man aus
und sagt: “Bei Dir nur, fühl’ ich mich zuhaus.”?

Wieviele Feiertage bleiben zum Freien übrig,
wenn man ihn bricht – den Treueschwur,
noch bevor man ihn gibt?
Wieviele Chancen sind einem zugemessen?

Als ich Dich wählte, wählte ich falsch
und hätte mir viel Leid erspart,
wäre ich frei, wie der Sturmvogel geblieben.
Ich war eine Närrin.

Du wußtest mich nicht zu schätzen
und hast meine Liebe leicht vergessen
mit einer anderen, die Dich nicht kennt.
Doch heute bin ich stark und stolz.

100 | bumpy road of life

In den allermeisten Fällen
gehört man zu jenen,
die Federn lassen
im Weltgetriebe.

Nicht ein feiner Niesel,
sondern gleich riesige Kübel
Wasser fallen vom Himmel
herab.

Man muß schon Chuzpe haben,
an jedem neuen Morgen
in graue Tage zu starten
und immer wieder auf’s Neue zu beginnen.

Es ist ja die Verzweiflung
der Schmiere im Getriebe.
Drum sollte man sich beizeiten
erinnern, der Sand zu sein.

Sonst wirst Du zum Gejagten
und holst Deine Träume nie mehr ein.

99 | Herbstgesang

Pünktlich zum Oktober
klingt wieder über das Land
der Herbstgesang.

Ermutigungen sind nötig,
denn der Sonne Strahlkraft
schwächelt täglich.

Vom nahen, düsteren Winter
künden die dunklen Zeichen
und erinnern mindestens
an die Vergänglichkeit.

Es plagen Schnupfen und Fieber.
Es schmerzen alle Glieder.
Und wehmütig gedenkt man
des sommerlichen Mückentanzes –
auch wenn die Biester beissen.

Wie gut, dass dichterische Spitzfindigkeiten
das sieche Gemüt erheitern,
so läßt sich der Niedergang heiter erleiden.

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97 | Im Morgendunkel

Im Morgendunkel ziehen Gänse und tröten.
Blicke in den schwarzen Himmel
und schiebe den Reissverschluss
am Daunenmantel hoch bis zum Kinn.

Dann rollt das Rad
durch den Park,
über die Brücke am Landwehrkanal
und schon schliesse ich es vor dem Eingang
zur Unterwelt an die Halterung aus Stahl.

Wenn ich dann nachmittags
den Katakomben entsteige,
kann ich kaum glauben,
dass Tag ist.

Dreh’ ich den Schlüssel in der Tür,
steht am Herd Gabriel.
Wir grüssen.
Meist versteht er mich nicht,
weil seine schöne Muttersprache Portugiesisch ist.
Aber wir üben.
Und wieder lichten sich die Blätter der Strassenlinden.