Kämpfer

Du sprichst Deutsch und Zaza und noch einige Sprachen mehr. Du hast Kinder und Enkelkinder. Eines wird Lehrerin. Für Deine Fitness machst Du Sport und jeden Tag lenkst Du ein wackliges Lastenrad in das Häusermeer von Kreuzberg. Was macht es für einen Unterschied, ob Du Deinen Pfad durch das schroffe Gebirge suchst oder die Treppen der alten Mietshäuser hinaufsteigst? Früher spieltest Du Saz, jetzt singst Du bei der Arbeit. Nur, wenn Du eine Raucherpause machst, sehen Deine Augen traurig aus. Du liest gerne und hast Sinn für Poesie. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, aber ich mache mir Sorgen um Dich, denn jetzt sind wir einander keine Unbekannten mehr.

Hakan

Gerne ging ich zu Dir, um ein bisschen zu plaudern und das Haar richten zu lassen. Du warst eine Quelle der Lebensweisheit und Inspiration und hattest immer ein gutes Wort. Wir sprachen über unsere Kinder und Du wurdest vom Leben immer erschöpfter. Einmal scherzten wir, man müsse in Deutschland im Winter arbeiten, sonst bekomme man Depressionen. Du warst ein Philosoph und Menschenfreund mit Schere und Kamm. Eines Tages kamst Du nicht mehr in Deinen Laden. Ich hoffe, Du bist glücklicher. Du wirst vermißt.

Wer_besonders_betrübt_ist

Wer besonders betrübt ist, hat vielleicht nur viel Kraft und weiss nicht wohin mit ihr. Da ist möglicherweise eine starke Begabung für’s Lieben und Tun, die keinen geeigneten Ausdruck findet. Die Kraft wendet sich um und richtet sich gegen einen selbst, weil sie nicht schöpferisch werden kann – sie wirft einen um. Es kann nicht gesund sein, diesen Körper, der einen täglichen Radius von 20 km hat, einzuzirkeln auf maximal einen halben Meter Bewegungsspielraum. Er will sich recken und strecken, beugen und hocken. Er will auch nicht stundenlang immer nur eines tun. Er möchte beweglich bleiben. Die Augen wollen nicht nur auf einen Punkt starren und von Kunstlicht umflossen sein. Muskeln wollen sich bemühen, etwas anpacken. Nicht nur Kinder haben einen Bewegungsdrang. Den erwachsenen Grossstadtmenschen wird er abtrainiert. Unsere Körper sind für ein Nomadenleben gemacht. Für den Wechsel von schwer und leicht. Nicht umsonst bewegen sich viele in ihrem Urlaub gerne an der frischen Luft.

Fazit

Nein, vor den Feiertagen packen wir nicht mehr unsere Sachen, um im Häuschen die Sterne, die Stille und die Kaminfeuer zu geniessen. Nein, ich quäle Dich nicht mehr mit meinem Schnarchen des Nachts. An die Stelle unserer sonntäglichen Einladungen zum Fernsehabend und Sonntagsessen, sind der Lyrikkreis und die Prosaerstellung getreten. Alte Freunde haben andere Wege eingeschlagen, neue teilen ihre Freude an Musik, Philosophie und Poesie. Auf Jahrzehnte gemeinsamer Erfahrungen folgte die Ernüchterung. Nichts davon ist dauerhaft bedeutsam. Es gelten keine Schwüre. All die Intimität besiegelte nichts. Solitär steht man stabil. Die Berge auf Gomera habe ich allein erklommen. Mein Asyl in Skandinavien habe ich in einem Obdachlosenheim gefunden. Die zärtlichste Stunde schenkte mir ein rothaariger Jüngling. Die treuesten Freundinnen schickten mir aufmunternde Grüsse. Ja, ich wurde freigesetzt und entwickelte Kraft. Ich lernte tüchtige Menschen kennen, die mir zeigten, wie man kämpft und die, zwar widerwillig, doch unverdrossen meine Ungeschicklichkeit duldeten. Nein, die großen in mich gesetzten Erwartungen habe ich nicht erfüllt, aber ich bin doch herausgewachsen aus meinem Dasein einer Schlingpflanze. Doch das hätte Dir nicht gefallen. Es wäre nicht mehr Notwendigkeit gewesen, die uns verbindet. Für meinen Plan, uns ein Alter zu erschreiben, war nicht wirklich Platz. Du hast unser Häuschen aufgegeben und neu angefangen. Es geht, weil es muß.

Das Schweigen

Das Schweigen hat Mauern ungesagter Worte und Tränen aufgerichtet und nichts ist geblieben, worüber man arglos reden könnte. Deine Statur, Dein Antlitz, Dein Name wurden getilgt. Nichts weiss ich mehr von Dir. Du hast Dich herausgeschnitten aus dem Bild. Jedes Wort an Dich, gilt Dir als Übergriff. Zerschmettert ist das kostbare, fragile Gefäß unserer Verbindung. Die Erinnerung an Dich beschwört nur noch hässliche Fratzen herauf. Wann verloren wir den Respekt voreinander? War je Güte zwischen uns? Warum hielten wir einander für Betrüger? Weshalb verwundeten wir einander so tief? Hatten wir einander kennengelernt? Solange jeder seinen Platz einnahm, konnten wir die Täuschungen übereinander aufrecht erhalten, aber wir konnten uns so auch nicht näher kommen. Mit unserer Alterung kränkten wir einander. Der Schmerz wird erst enden, wenn das Bild von Dir ganz ausgelöscht ist. Es umfängt mich eine Wüste der Fremdheit. Das ist wohl der Preis der Freiheit.

Riesin

Aus der Entferung erscheine ich als Riesin. Ich wurde erst ganz klein zusammengestaucht, bevor mein Ruhm alles überstrahlte. Ich suchte und fand Worte, die dem Unsagbaren Ausdruck geben. Ich suchte und fand Freundschaft. Ich trieb haltlos auf dem Meer der Enttäuschung und Einsamkeit und erreichte ganz nebenbei die rettende Küste. Nach und nach lernte ich, zwischen mir und den Bildern, die ich abgab, zu unterscheiden und wurde frei. Nein, mein heimatloses Schicksal war nicht nur das Los der Einzelnen. Verachtet wird, wem nicht gelingt, den Bildern zu entsprechen. Wir fremdeln mit der Gnadenlosigkeit des Konformismus. Aus der Larve der Aphrodite schälte sich eine vernarbte Gaia heraus und wurde fruchtbar. Ja, der Abschied von den Illusionen der Jugend war schwer, aber er wurde mit der Klarheit und Selbstgewissheit der Reife belohnt. Mögen bitterlich Tränen über die Verluste vergossen worden sein, es gibt doch keine Macht der Täuschung mehr und Morgenröte erleuchtet die Zukunft.

Dezembergedanken

Ich gehe voran, obwohl ich längst kein Ziel mehr habe. Nur, dass ich mich tragen will. Dass ich mein Auskommen haben will und die eine oder andere Zeile von Bestand in die Welt bringen will. Ich unterziehe mich der Mühsal hinauszuziehen, um mein Brot zu erkämpfen. Besonders geschickt bin ich nicht. Mir wurde zwar schon Bestechung angeboten, doch das kam für mich nicht infrage. Zwar erringe ich mein Auskommen, aber ich verliere die Kraft zum Träumen. Im Rahmen der eng gesteckten Erwartungen dieser Gesellschaft an mich, sind die meisten meiner Fähigkeiten nicht gefragt. Man gebietet mir, etwas zu tun und erwartet eine möglichst schnelle, akkurate Ausführung – keine störenden eigenen Ideen und keine Rückfragen. Meine Muskeln und meine Freundlichkeit sind gefragt. Wie bei einem Akrobaten muß jede Anstrengung leicht aussehen, dafür soll ich loyal sein und ich bin es, denn ich habe überhaupt ein Auskommen. Ich bin weit entfernt von materieller Sicherheit und meine Lieder verhallen ungehört. Ich kranke an einer kranken Welt und kann mich nicht aussöhnen damit, wie unsinnig und ungerecht sie beschaffen ist. Eine Welt in der die Anpassung an die ökonomischen Gesetze des Marktes höheren Wert, als Charakterstärke hat.

Wen soll ich anklagen?

“Die Liebe hat mich nicht abgeholt – wen klage ich an? In meinem reichen Garten ist der Platz neben mir leer. Ich bin praktisch nicht sonderlich begabt, bin eine Träumerin. Doch da ist niemand, der meine Träume teilt. Kein Schmelz haftet mir mehr an. All’ die ungelebte Zärtlichkeit, die gerne ins Leben möchte, macht mich traurig. Amputiert gehe ich meinen Weg. Morgens stelle ich mich widerwillig dem Tag und abends gehe ich früh schlafen. Zwar habe ich wirklich gute Freunde, aber keine Heimat. Niemand vermißt mich neben sich und das Feuer im Ofen entzünde ich mir allein. Es sollte nicht so sein. Wieviele Wegbegleiter sind gegangen, als ich in Not war? Es sollte nicht so sein. Es genügt nicht treu zu sein. Es genügt nicht zu lieben. Es genügt nicht, Freund zu sein. Nur der Mond bleibt und zieht unbeirrt seine Bahn.”

Summertime

Nein, heute würde ich es nicht mehr singen. Handelt es nicht von Erlösung aus dem irdischen Schicksal? Aber damals habe ich es gesungen – auf dem Schulfest. Wir waren schon ein Paar. Die Melodie habe ich ganz eigen interpretiert. In der Band spieltest Du. Clemens war auch dabei und Klaus oder Heinz. Wir haben unseren Sommer gehabt und wußten nichts von dem Winter, der folgen würde. Nichts von den Lügen – I can’t get no satisfaction – und Bosheiten. Und das ultimative “burning down the house” lagen noch vor uns, ebenso wie das Konzert von weather report in San Sebastian mit Joe Zawinul und Jaco Pastorius.

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Unser letztes gemeinsames Konzert war dann Peter Gabriel in Berlin mit Back to Front
am 25.05.2014 in der Waldbühne. Der Abend als wir erfuhren, dass das Tempelhofer Feld für die Öffentlichkeit als Naherholungsgebiet erhalten bleibt. Du hast erbärmlich gefroren. Ich konnte Dich nicht wärmen. Es war wohl ein Abgesang auf unseren Sommer.

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Meine Begeisterung für Stings Winter Album hast Du schon nicht mehr geteilt.

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121 | Schulden

Es haben mich gerade die enterbt
oder verlassen oder beides,
die hoch um Antwort
bei mir verschuldet sind.

Sie glaubten wohl
so könnten sie sich
für ihre ungesagten
Worte rächen

Und ihre Schulden tilgen.
All die ungetanen lieben Dinge,
die sie mir nicht taten,
dafür wollten sie mich strafen.

Ja, die Ruchlosigkeit schmerzte mich,
doch ich weiss auch, es höhlte sie
im Inneren aus.
In ihnen klafft eine Lücke

und es gibt nichts,
was sie schlösse.
Auf dunkle Taten
folgen Schatten.