138 | Widersprüche

Verheissungen liegen in der Luft,
doch niemand löst sie ein.
Einige schweben im Glanz,
doch andere schlafen auf Stein.

Am Morgen geht’s früh hinaus,
doch von den Aufgaben
ist bis abends nicht alles geschafft.
Tags ist man munter,
doch enttäuscht von der Kürze der Nacht.

Mit Kraft will man leben,
doch nur bis zur Maloche ist man gelangt.
So gerne teilte man Freude,
aber leider bleibt man unumarmt.

High Hopes – Pink Floyd

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Brüche

Wir fuhren im Schneetreiben von Berlin zu Dir auf der Tourneé hinauf nach Jütland am 20.03.1994. Mein Bauch wölbte sich vom siebten Monat Schwangerschaft. Wir übernachteten in Aarhus und brachen am nächste Morgen mit unseren Trauzeugen nach Tranebjerg auf Samsø auf. Damals ahnte ich noch nicht, dass unsere Ehe bereits mit einem Bruch begonnen hatte, denn Du hattest am Abend bevor wir kamen versucht, die Trauzeugin zu verführen. Dies gestandst Du mir eine Woche vor der Niederkunft. Da konnte ich nicht mehr zurück, glaubte ich. So begann unsere Ehe mit einem Betrug.

Wahrscheinlich

Ich kenne Dich nicht mehr. Du bist wahrscheinlich ein ganz anderer geworden – sanftmütig und duldsam. Längst mußt Du Dich nicht mehr durchsetzen und bist voller Harmonie. Du führst ein gesundes, friedvolles Leben an der Seite Deiner einzig geliebten Frau. Glück regnet auf Dich herab und Du bist angekommen, hast ein eigenes Domizil bezogen und genießt die Ruhe der Vorstadt. Die Orte, die wir aufsuchten, hast Du hinter Dir gelassen. Majestätisch und frei gehst Du Deiner Wege. Dich kenne ich nicht.

Wenn die Lindenblüten wieder duften

Im Sommer 2024 wollen wir mit einem Kahn und Gästen die Spree hinauf ziehen, wenn die Lindenblüten duften. Wer weiß was bis dahin geschieht, aber so ist jetzt der Plan. Seit diesem Jahr trage ich wieder einen Goldring am Ringfinger der rechten Hand. Er gilt niemandem bestimmten. Vielleicht denke ich dran, weil heute mein Hochzeitstag war – da auf Samsø bei frostigen Temperaturen und Sonnenschein. Doch meine Frühlingsanfänge gelten auch niemandem bestimmten mehr. Im Park ist der Brunnen noch nicht repariert und es wird wohl ein weiterer Sommer ohne Wasserfall sein. Er wird schmerzlich vermißt. Der Gesang der Nachtigall mischte sich immer auf’s Schönste mit seinem Rauschen. Die Eisdiele will nach der Winterpause bald wieder öffnen. Die Monde ziehen ins Land und ich altere ohne die Perspektive, einen Ort auf dieser Welt gefunden zu haben an den ich gehöre. Zwischen den Berliner Mietskasernen ist immerhin alles vertraut. Gestern habe ich auf dem Weg nach Sacrow wieder einen hellgrünen Teppich auf dem Waldboden aus Wunderlauch gesehen. Ich fuhr über den Wannsee nach Kladow auf dem offenen Verdeck der alten Fähre – der Condor, auch wenn ich Handschuhe trug und die Kapuze des Daunenmantels auf dem Kopf festhielt. Jetzt müßte ich aufräumen, aber ich hänge lieber meinen Träumen nach.

Täglich

Täglich kämpfe ich mich durch Kreuzbergs Häusermeer und trage die Sendungen zu den Briefkästen der Stadtbewohner. Wenn ich Päckchen bringe, ist die Freude der Empfängerinnen meist groß. In den letzten Tagen sind die Krokusse aufgeblüht und die blauen Sternhyazinthen. Heim komme ich meist erst, wenn die Sonne versinkt. Oft nehme ich die 47, das ist ein Rad, das niemand sonst will. Wenn es geregnet hat, quilt aus dem Sattel die Nässe und er läßt sich nicht mehr fixieren. Aber mit seinem Elektromotor macht es ganz gut Tempo. Ich versuche der Melancholie davon zu fahren, aber es gelingt mir nicht immer. Ich bin trotzdem froh, am Abend zu müde zum Nachdenken zu sein. Ich sinke in meine Kissen und vergesse die Verluste. Die Kriege und Naturkatastrophen laße ich nicht an mich herankommen. Meinen Durst löche ich mit dem Geschmack von alkoholfreiem Bier. An meinen freien Tagen treffe ich mich mit meiner Tochter oder Gottt, meinem Bruder oder Freundinnen oder ich ruhe einfach aus. Aber meine Sehnsucht holt mich immer wieder ein und ich denke an Hendryks Liebreiz und die verzauberte Zeit. Wie er fröhlich auf Spitzen tanzte und alle auf dem Flur umgarnte. Plötzlich umwölkte sich seine Stirn und er schlief Tag und Nacht. Jenes Frühjahr war im Flug vergangen und als der Sommer gekommen war, war Hendryk wieder verschwunden und ich mußte ohne meine Schwingen weiterziehen.

137 | Liebster

Du warst so jung und hold,
Dein Lächeln süß betörend.
Du hast mich charmant umgarnt
und blütenreichen Frühlingsduft verströmt.

Du stammtest aus einer anderen Welt
und strahltest unter beschirmten Zinnen.
Du bist in der Morgenröte entschwunden.
Ich habe Dich lyrisch bekränzt
und hoffe, Du hast Dein Glück
in der Ferne gefunden.

Noch Winter

Ich liege in meine warme Decke aus Yak-Wolle gehüllt und versuche zu klären, was die Konsequenzen aus den frischen Einordnungen über mein vergangenes Lebens sind. Wie war es möglich gewesen, dass ich die Gewalt übersehen hatte, die meine Beziehung durchzogen hatte? Zum einen war sie wohl schleichend und leise in mein Leben getreten, zum anderen hatte ich auch Unberechenbarkeit und Gewaltätigkeit in meinem Elternhaus erlebt. Gewalt war also für mich eine Kategorie gewesen, die immer möglich in intimen Beziehungen war. Sie brach über einen herein, ebbte wieder ab und man tat, als sei nichts geschehen. Zum anderen war die Erfahrung psychisch so schmerzhaft gewesen, dass ich dissoziierte und mich im direkten Nachgang nicht mehr genau an die Geschehnisse erinnern konnte. Ja, ich machte mich verantwortlich für das, was passiert war. Jetzt, gekräftigt von der Selbstständigkeit, kann ich mich wieder an die Vorgänge und ihre Chronologie erinnern. Erstaunlich ist auch, mit welcher Abwehr die Umwelt reagiert. Die Reaktionen sind – vorsichtig gesagt – sehr zurückhaltend. Aber das spielt keine so grosse Rolle, wichtig ist, dass mir die Zusammenhänge klar werden. Ich werde besser gewappnet in eine glücklichere Gegenwart und Zukunft gehen. Kompromisse habe ich nicht mehr nötig. Bei mir schrillen alle Alarmglocken, wenn ein Mann indiskret wird. Welche Absichten hat er? Was will er? Und ich? Bin frei, wie nie zuvor. Ich entscheide über alles, was mein Leben betrifft, ganz für mich allein. Ich habe Freunde gefunden auf die ich mich verlassen kann. Ich bin der Gewalt entronnen und so gesund, wie seit Jahrzehnten nicht.

Macht Eure Kinder stark

Frauen, wenn Ihr merkt, dass ihr Angst habt aufzumucken in einer Beziehung, nehmt das ernst. Wenn ihr “grundlos” traurig seid, ihr nicht über Eure Bedürfnisse sprechen könnt, wenn ihr auf leisen Sohlen geht, um “ihn” nicht zu reizen, sind das starke Warnsignale, dass etwas in Eurem Umfeld nicht stimmt. Aus dem Nichts eskalierte beispielsweise ein Abend: Wir saßen zusammen mit dem grossen Kind im Wohnzimmer. Er liess einen Laserpointer über den Boden rennen, um mit der Katze zu spielen. Plötzlich richtete er den Laserpointer auf meine Augen und unterliess das auch nicht, als ich protestierte. Das Kind wurde Zeugin dieses Angriffs. Ich hätte ihn anzeigen sollen und aus der Wohnung entfernen. Ich war jedoch lediglich sehr aufgebracht und entrüstet und verdrängte das Geschehene bald darauf. Mein Kind wurde noch öfter Zeuge von gewaltsamen Verhalten mir gegenüber. Dies hat seine seelische Entwicklung gestört. Schliesslich lernte es, dass es sich auf mich und seinen Vater nicht verlassen kann und konfrontierte ihn möglichst nicht mit Unangenehmen.