50 | Schwarzer Samt
Schwarzer Samt mondloser Nacht –
umfange mich.
Dunkler Abgrund, tiefe Schlucht –
nimm’ mich auf.
Kein Frühjahr soll mich trösten.
Mich ganz bedecken trockenes Laub.
Kein Sommerlied sollen Amseln singen.
Ich sinke hinab und werde zu Staub.
49 | Eine Reise
Ich saß mit Deinem Kind an der ionischen Küste.
Der Wind spielte kühl mit ihrem langen Haar,
die Wellen spülten an den Strand.
Wir wanderten entlang der kleinen Strassen
durch die Haine von Zitronen und Orangen.
Die Palmenwedel flatterten wie Fahnen
und magere Katzen strichen durch den Garten.
Er schloß sich an die Terasse an.
Wir naschten von den saftigen Früchten
des Feigenkaktus und kämpften gegen die Stacheln.
Am Abend aßen wir aromatische Tomaten
und krochen nachts zwischen Leinenlaken.
In der Siedlung heulten die Hunde.
Der Ätna ragte blau in den Himmel.
Am Fuß der griechischen Theaters
von Syrakus leuchtete das Meer.
48 | Menschheit
Gut acht Milliarden leben auf dem Globus
unter der gleichen Sonne
– fürchten sich vor Hunger, Krieg und Leid.
Man kann unter Milliarden einsam sein.
Glücklich, wem gegeben ein Freund.
47 | Zustandsbeschreibung
Reibe die Salzkruste aus den Augenwinkeln.
Warte auf Inspiration am trüben Horizont.
Kratze am Schorf auf nervöser Haut.
Seufze laut.
Lecke versonnen die Oberlippe.
Strecke mich unter der wollenen Decke aus.
Des Ofens volle Aschenlade staubt.
Schwere Atemzüge sind geronnen.
Und vor den stumpfen Fenstern
spriesst das grüne Lindenlaub.
Lieber als einer ungewissen Zukunft zu zueilen,
ruhe ich mich vom Nichtstun aus.
46 | Verlust
Wir haben einander mindestens tausend Mal
zärtlich und innig geküßt
bis eines Tages weisses Mehl
auf mein Haar gesunken ist.
Die Jugend verrauschte
im Tanz der Zeit.
Wir hielten mit ihr nicht Schritt.
So zogen die Jahre ins Land.
Sie nahmen die Blüten mit.
45 | Schatten
Wie bei einer Sonnenuhr
liegt auf meinen Sekunden, Minuten und Stunden
ein dunkler Schatten nur.
Alles ist bedeckt
vom finsteren Fleck.
In heller, hoher Himmelspracht
streift mich die Nacht,
löscht aus das Licht.
Kein warmer Schein
strahlt glänzend
in mein Leben hinein.
Es gibt keinen Sinn
in dem ich behütet und
geborgen bin.
Nur düsterer Falte
Schattengang
und monotoner Trauergesang.
44 | Trübsal, Trauer, Kummer
Trübsal, Trauer, Kummer
umfaßt das Herz
und keine Sicht
auf Frühlingslicht
verlöscht den Schmerz.
Schwer versinkt der Schritt
im treibenden Sand.
Vergeblich sucht
die ausgetreckte Hand
nach Halt an einem Arm.
Nichts hält und schmiegt
das bange Blatt,
das zittert
an dem Espenast
und friert im kühlen Wind.
43 | Millionen Jahre
Millionen Jahre
weint die Erde Ozeane –
wäscht sie fort das rote Blut –
bedeckt die Kriegestrümmer unter Erdreich,
schamhaft – wie mit einem Tuch.
Doch die Tränen aller Meere
löschen all die Schmerzen nicht.
Um solch’ bitteren menschengmachten Stunden fortzuschwemmen,
genügen auch der Erde Blütenschäume nicht.
Tausend Klagen, millionen Jahre –
und das Frühlingslicht
ergiesst sich mild
über rohes Menschenleid.
Oh, wie gerne würde Gaia heilen,
was der Mensch dem Menschen tut.
Und sie trägt sein frewlerisches Handeln
mit unendlicher Geduld,
als ob sie hoffe, ihre Kinder würden klug.