mit Gebrauchsanweisung für Anfänger im Denken

„Kenntnisse kann jeder haben, aber die Kunst zu Denken ist das seltenste Geschenk der Natur.“
Friedrich II. von Preußen zugeschrieben.
Dieses Geschenk möchte ich Ihnen hiermit machen.
Hierin finden Sie die wichtigsten Werkzeuge die zur richtigen Ausführung geistiger Arbeiten erforderlich sind. Ich habe sie persönlich in jahrelanger Arbeit akribisch aus der Vernunft extrahiert und bin daher nun in der Lage, nicht nur die Werkzeuge, sondern auch deren erfolgreichen Gebrauch zur Verfügung stellen zu können. Dabei ist es besonders angenehm, daß das gewonnene Werkzeug überaus einfach und leicht zu gebrauchen ist, obwohl es durch so lange Zeit, so mühsam und durch komplizierte Abwägungen erworben ward.
Nicht jeder allerdings ist zu geistigem Werk geeignet und geneigt; die meisten Menschen sind es nicht und daher Logik und Argumenten unzugänglich. Die nichtgeneigten Leser können dieses Blatt aber immerhin noch als Bierfilz verwenden, so erfüllt es auch ihnen einen nützlichen Zweck.
Die Werkzeuge
1. Meinungen selbst verfertigen, nicht von anderen ungeprüft übernehmen.
2. Quellenkontrolle durchführen. (Siehe oben „zugeschrieben“.)
3. Gegenläufige Meinungen und Kritik immer anhören und unvoreingenommen prüfen.
4. Jede These muß falsifizierbar ein.
5. Jede Meinung muß begründet sein, die Begründung ist das Wichtige an ihr, die Meinung selbst unwichtig..
6. Es ist ein innerer Advocatus Diaboli auf Posto zu setzen, der jeden Gegenstand, bevor er anerkannt wird, von allen Seiten her anzugreifen hat.
7. Kritik und Selbstkritik sind Teil des inneren dialektischen Prozesses und des geistigen Erkenntnisprozesses selbst, daher unerläßlich. Weiteres hierzu in meinen Traktat über die Kritik!
8. Der menschliche Geist ist nicht vollkommen, er kann nur in Antagonismen denken, also ja oder nein. Das ist das Maximum, was er leisten kann. Jede Arbeit zwischen diesen Polen ist vergeblich und daher kein Denken mehr. Denken heißt rechnen, kalkulieren. Dazu müssen dem Geist klare Positionen gegeben werden. Ungeistige Leute lieben es, alles mit einer Soße des Ungefähren zu übergießen, aber dafür kommen sie auch zu keinem Ergebnis, das nicht schon vorher ihre unbegründete Meinung gewesen ist. Sie denken also gar nicht, sondern fühlen irgend etwas. Das tun Tiere auch. Der Geist kann aber sehr wohl Sachverhalte in sehr kleine Abstufungen von Ja und Nein kleiden, so daß eine relativ feinziselierte Abstufung möglich ist. Dies ist eine Frage von sine qua non, also so oder gar nicht Denken.
9. Das Denken darf sich selbst keine Grenzen auferlegen, sonst kann es nicht richtig funktionieren. Denn das wäre, als wenn man einem Mathematiker vorschriebe, sein Ergebnis dürfe nicht die Zahl 7 enthalten. Das kann nicht funktionieren und wenn dann nur in Fällen, in denen eben keine 7 vorkommt. Das Denken selbst ist niemals etwas schlechtes, sondern nur eine Tätigkeit im Gehirn, sie darf daher keinen ethischen Regeln unterworfen werden. Allenfalls kann sie die Quelle derselben sein. Ihr Regeln aufzuerlegen, hieße, sie zum versiegen zu bringen mit wiederum sehr schlimmen Folgen für die ethischen Regeln. Beispiele hierfür sind die Religionen, die das Denken zugunsten des Glaubens auszuschalten suchen und dadurch stets furchtbar mörderische Folgen für diese Welt hervorbringen.
10. (Typische Fehler) Ebenso wie man das Ergebnis einer mathematischen Rechnung nicht erfühlen, sondern ausrechnen soll, kann auch das Denken sein Ergebnis nicht erfühlen. Denken ist vielmehr Rechnen mit Faktoren der Logik. Ein solcher Faktor kann durchaus ein Gefühl sein, denn Gefühle sind existent, insbesondere die Gefühle der Anderen; aber eben nur ein Faktor, mit dem gerechnet wird. Im Rechenprozeß selbst hat es nichts zu suchen und führt ebenso zum selben falschen Ergebnis, wie wenn man das Ergebnis von 7×7 erfühlen will.
Die Praxis
A. Ein konkreter Denkvorgang oder Prüfung eines Sachverhalts geht folgendermaßen vor sich. Man nimmt denselben erst einmal zur Kenntnis und sucht ihn sodann zu verstehen, ohne sich bereits ein Urteil zu bilden. Denn um sich ein solches zu bilden, muß man eine Sache erst verstanden haben.
B. Sodann prüft man die Sache nach allen Seiten, sucht die Richtigkeit zu erhärten oder zu widerlegen, Hierbei obwalten die Popperschen Gesetze, denengemäß eine Sache durch ein Beispiel wohl zu widerlegen, aber kaum zu bestätigen ist. Eine gesunde Skepsis ist also angebracht.
C. Man sucht jetzt die Positionen der Gegner dieser Sache auf, um Argumente und Gründe zu berücksichtigen, die man selbst noch nicht gefunden hat.
D. Nun fällt man selbst ein Urteil, niemand kann einem das abnehmen, niemand kann für einen klug sein. Denn um festzustellen daß er das ist, müßte man das ja wiederum prüfen und geriete in einen infiniten Regreß.
E. Das Ergebnis, wie es auch ausfalle, bleibt immer provisorisch, das heißt bis zum Herantreten neuer, besserer Erkenntnisse oder Tatsachen bestehen, die das Urteil widerlegen können. Das geistige Produkt bleibt so allezeit dynamisch und sollte auch von einem selbst aus einer regelmäßigen Prüfung unterzogen werden. Selbst die gesamte Weltanschauung sollte mindestens alle zehn Jahre einer gründlichen Revision unterzogen werden.
Für das Denken selbst gelten die etablierten Regeln der Logik, welche das korrekte Rechnen angeben. Siehe dort!
Die genannten Regeln sind übrigens im akademischen Bereich üblich und anerkannt und werden in der Regel auch umgesetzt. Es ist dies fast der einzige Bereich, in dem dies der Fall ist. Angenehm ist es z.B. zu bemerken, wenn Kritik hier nicht, wie sonst gewöhnlich, abgelehnt wird, sondern als selbstverständlich entgegengenommen wird.
Die Tätigkeit des Denkens kann schneller oder langsamer gehen. Wichtig ist, daß sie korrekt und selbstkritisch ausgeführt wird, um zu richtigen Ergebnissen zu gelangen. Es macht nicht so viel aus, wann man dazu gelangt, denn man wird zu einem Ergebnis gelangen, sofern man die nötige Rechenzeit bereitstellt. Das Gehirn ist ein selbstoptimierendes Organ. Daher wird es bei jedem Vorgang etwas leichter und besser gehen also zuvor. Leider haben viele Menschen ihr Gehirn nie trainiert und entsprechend unsicher und unbeholfen sind sie; das heißt jedoch nicht, daß sie die Fähigkeit nicht haben.
Menschen geraten deshalb in eine Aufwärts- oder Abwärtsspirale. Denken sie oft und regelmäßig, werden sie immer klüger, scharfsinniger und letztenendes auch weise und werden irgendwann den meisten überlegen sein; diejenigen die nicht oder nur selten sowie nicht zu Ende denken degredieren jedoch im Geist, bis sie völlig verdummt sogar unter das geistige Niveau eines Kleinkindes absinken. Offensichtlich gibt es hier keinen Zwischenweg, sondern nur auf dem einen oder anderen Wege Befindliche.
Sehr kurz und treffend hat es Otto Apelt in einer Anmerkung zu seiner Übersetzung der Politeia geschrieben: „Dieser zersetzende Einfluß der Dialektik ist typisch für die Entwicklung und den Verlauf der menschlichen Anschauungsweisen überhaupt im Großen (geschichtlich) sowohl wie im Besonderen (indiviuell), nämlich 1. unbefangenes Hinnehmen des Gegebenen ohne Reflexion; 2. erwachender Zweifel bei noch ungenügender Ausbildung der Wissenschaft, 3. wenn es gut geht, Überwindung des Zweifel durch richtige Philosophie und Wissenschaft.“ Seinen Geschichtsoptimismus teile ich zwar nicht, aber die Einteilung auf das Individuum bezogen ist akkurat; in dem Ausdruck „wenn es gut geht“ liegt eine ganze Welt und unendliche Möglichkeiten des Scheiterns; wie viele habe ich gegen die Festung des Denkens anlaufen und doch wieder und wieder scheitern sehen; daher dieser Leitfaden.
Denn ich bin der Überzeugung, daß Denken nicht nur lernbar, sondern auch lehrbar ist, wobei dies hier ein schwieriger Versuch ist, da nur Wenige es wohl aufgrund eines einfachen Leitfadens lernen können. Es ist ein Skandal daß es Sport, Chemie, Physik und sogar Religion als Schulfächer gibt, aber das Wichtigste, das Denken nicht gelehrt wird oder höchstens nebenbei. Die meisten, die es können, haben es sich daher selbst beigebracht und vielleicht auf dem Weg dies oder jenes aufgeschnappt. Da diese Kunst so selten und dann oft so wenig beherrscht wird, fordere ich die Einrichtung kostenloser öffentlicher Denkschulen, in denen das gelehrt wird; insbesondere für die Jugend wäre dies wichtig, denn gerade die junge Generation unserer Zeit hat keine eigenen Gedanken, sondern alle von den Alten übernommen, obwohl sie doch guten Zugang zu Bildungsangeboten hat; aber Denken hat sie nicht gelernt. Es ist also dringend nötig.
Sozial gesehen ergibt sich hieraus das Problem, daß die Geistigen zwar sehr gut die Ungeistigen verstehen, aber nicht umgekehrt, weshalb praktisch keine Kommunikation möglich ist. Diese beiden sind wie unterschiedliche Spezies, die keine gemeinsame Sprache haben und dies ist die eigentliche wirkliche Trennungslinie unter den Menschen, bedeutender und unüberwindlicher als alle anderen Klassenschranken.
Außerdem ergeben sich gesellschaftlich folgende Verwerfungen: Die Gesellschaft wird zu einem großen Teil von den Dummen bestimmt, als welche die Mehrheit bilden und damit den Standard setzen. Die Dummheit ist als ausbeutbare Ressource zu verstehen, an der man sich bereichern kann. Und weil dies eben möglich ist, wird es auch getan, so wie man Erdöl, das von selbst an die Erdoberfläche tritt, abschöpfen und verwerten wird.
Die Ungeistigen sind von ihrer Meinung immer sehr überzeugt, die Geistigen stellen sie entsprechend den oben offenbarten Prinzipien stets in Frage. Perfekte Soldaten und Befehlsempfänger wird man daher wohl unter den Ersten, kaum aber unter den Letzten finden.
Warum es so viele Dumme gibt, die erkennbar unter ihrem geistigen Potential bleiben, ist mir noch etwas rätselhaft; zweifellos ist es aber ein Effekt der Gesellschaft, die dafür sorgt, daß es viele Dumme gibt, da diese als Arbeitsbienen benötigt werden.
Epilog
Der Übergang des Denkens zum Handeln ist ein Kapitel für sich und mag an anderer Stelle behandelt werden. Es würde diesen Rahmen sprengen.
Zuletzt eine Warnung: Wenn sie diese Werkzeuge gebrauchen, werden sie sofort sehr viel intelligenter werden. Durch die Übung im Gebrauch derselben, wird sich ihr Geist mit der Zeit noch mehr und mehr optimieren. Sie geraten in eine geistige Aufwärtsspirale. Das ist aber nicht immer angenehm, denn es wird sie von der Mehrheit der Menschen trennen. Wohl werden Sie diese noch, diese Sie aber nicht mehr verstehen. Somit wird die geistige Kommunikation zu ihnen dauerhaft unterbrochen werden. Zudem werden durch die geistige Arbeit viele unangenehme Erkenntnisse über Welt und Menschen an sie herantreten, die ihnen vielleicht die Stimmung verderben. Dafür werden Sie in der Theorie und der Praxis deutliche Vorteile haben.
Ich wollte nur, daß Sie das vorher wissen, ich habe Sie gewarnt! Noch können Sie dumm bleiben!
Aber schon die Gestalt des Menschen lehrt, daß das Denken sein eigentlicher Beruf ist. Körperlich sind ihm die Tiere überlegen, jedes in einem Bereich. Hingegen fällt auf, daß das Gehirn die Hälfte seines Kopfes ausmacht, während es bei Tieren meist recht flach ausfällt. Wenn ein Mensch also kein geistiges Wesen ist, dann ist er eigentlich gar nichts, denn er hat seine Bestimmung verfehlt, ist funktional ein Anenzephalus oder geistiger Sklave, der an der Kette seiner eigenen Dummheit an der Nase herumgeführt wird. Für ihn wurde nach ihrer eigenen Aussage dezidiert die Religion des Christentums als Religion für die geistig Armen geschaffen.
Als Vorteile sind zu nennen, daß man durch diese Kunst allen Nichtdenkenden de facto überlegen ist; daß man sein Leben selbstbestimmt führen kann; schließlich sind die geistigen Erkenntnisse auch ein Selbstzweck. Das Leben des Geistes ist eine Welt für sich.
Mit herzlichem Dank an den Autor Magister Peer Scherenberg für seine freundliche Genehmigung zur Präsentation des Textes in “Die Dorettes”,
Ersterscheinung: INNEN Welten, März 2021, Berlin, https://www.kleine-welten-verlag.de/